Der suchende Segler Eine Kurzgeschichte über die Orientierung im Leben
Da ging am Kai ein Kaufmann vorbei und fragte den Segler: » Wohin geht die Reise? « Der Segler lächelte und antwortete: » Ich weiß es noch nicht. Mal schauen, wohin der Wind mich trägt. « Der Kaufmann schaute nachdenklich, ging langsam weiter und sagte im Vorbeigehen leise vor sich hin: » Für einen Segler, der seinen Zielhafen nicht kennt, ist kein Wind der richtige. «
Der Segler hörte diese Worte. Und er stockte, denn er musste darüber nachdenken: » Hm ja, da steckt schon etwas Wahres drin. Doch ich lasse mich vom Wind tragen, weil ich etwas suche, und ich weiß ja nicht wo. Deshalb will ich nur die Welt kennenlernen, möglichst viel sehen und erfahren. Also stimmt genau das Gegenteil von dem, was der Kaufmann sagte: Jeder Wind ist mir recht! «
Dieser Gedanke beruhigte den Segler wieder, also löste der Segler die Leinen und brachte sein Boot hinaus aufs Meer. Diesmal hatte er Glück: Der Wind pustete und pustete und gab ihm seine Richtung ohne Abweichung vor. Nach einigen
Der Segler legte sofort im Hafen an und ging an Land. Er war überwältigt, denn dieser Ort war noch viel schöner, als er zuerst geglaubt hatte. Der Segler blieb einige Tage an diesem Ort. So lange, bis er eines Morgens aufwachte und plötzlich innerlich sehr unruhig war. Er hörte wieder diese innere Stimme, die ihm immerzu so viele Fragen stellte: » Willst du etwa hierbleiben? Ist das hier das, wonach du suchst? Dort draußen gibt es noch so viele unentdeckte Orte, könnte es nicht noch einen geben, der noch besser zu dir passt? Wäre es jetzt nicht mal an der Zeit, deine Suche fortzusetzen? « Der Segler dachte sehr viel über diese Fragen nach, aber er fand keine rechte Antwort darauf. Denn er wusste eben nicht, wonach er sucht. Er konnte diese innere Stimme und ihre Fragen aber auch nicht ignorieren.
So entschloss er sich, sein Boot am nächsten Tag wieder startklar zu machen. Am nächsten Morgen sah er einen alten Mann herunter in den Hafen kommen. Der alte Mann kam langsamen Schrittes direkt auf das Boot zu und setzte sich davor auf einen Stein. Er fragte den Segler unvermittelt: » Was machst du da? « Er antwortete nebenbei: » Ich steche wieder in See und habe mein Boot dafür vorbereitet. « Der alte Mann überlegte kurz und fragte:
mir das Leben darauf irgendwann eine Antwort gibt, wenn ich los segle. Deshalb muss ich weiter. «
Den alten Mann schien diese Antwort irgendwie berührt zu haben. Denn auf einmal schaute er sehr nachdenklich zu Boden und sagte: » Ich war einst so wie du, auch auf der Suche. Ich habe endlose Jahre auf dem Meer verbracht. Ich hatte immer das Gefühl, irgendwo dort draußen liegen die Antworten verborgen. Ich war der Sklave meiner unstillbaren Fragen. Sie haben mich mein Leben lang getrieben und mich rastlos gemacht. «
Der Segler fragte sich, ob der alte Mann wohl das gefunden hatte, wonach er gesucht hatte. Der alte Mann konnte dem Segler diese Frage aus seinem Gesicht ablesen. Er holte tief Luft und sagte: » Ich habe mir geschworen, falls ich je einen Segler treffen sollte, der so ist, wie ich einst war – dann werde ich ihm berichten, was ich gelernt habe. « Der Segler schaute den alten Mann jetzt gebannt an. Der alte Mann zögerte kurz und sah aufs Meer hinaus: » Ich war auf der Suche dort draußen.
Der Segler schaute weit aufs Meer hinaus. Er schloss seine Augen und atmete einen tiefen Zug salziger Luft ein. Dann griff er nach der Leine und band den Knoten wieder zu.
von Mathias Rudolph(Originaltext)