Rastloser Alltag – rastloser Glaube?

Rastloser Alltag – rastloser Glaube?

Der Wecker klingelt. Noch während ich im Bett liege, rattern in meinem Kopf die ersten Gedanken los, was heute alles auf mich zu kommt. Was ist zu tun? Was nehme ich mir vor? Irgendwann aufgestanden muss ich nach dem Kaffee schon loshetzen, um die Bahn noch rechtzeitig zu erreichen und auf Arbeit zu kommen. Nach der Fahrt ergießen sich Menschen aus der Bahn auf den Bahnsteig und ich reihe mich ein in einen Strom aus Rastlosen, die eilend auf ihr nächstes Ziel zusteuern. Auf Arbeit denke ich dann parallel an den Einkauf, der heute noch ansteht. Ich überlege, wann ich Zeit habe zu kochen und ob wir es wohl dieses Mal hinbekommen, nicht erst eine Stunde bevor die Gäste kommen, mit dem Putzen anzufangen…

Alltag. Der Alltag fühlt sich mal wieder wie ein einziger Marathon an, aber einer ohne Ziellinie. Einfach nur ein Laufband ohne Ende. Das Gefühl kennt wahrscheinlich jeder.
Wir alle haben solche Tage, an denen man irgendwann nach Hause kommt, noch ein paar Happen isst und sich dann entkräftet ins Bett fallen lässt, um am nächsten Tag wieder durchstarten zu können. Unser Körper braucht also offensichtlich Pausen – Schlaf, Nahrung, Ruhezeiten – um wieder leistungsfähig zu sein.

So weit, so gut. Leider können wir uns um unseren Körper auf diese Art und Weise kümmern und trotzdem rastlos, ruhelos & kraftlos sein, denn der seelische Tank braucht genauso immer wieder neuen Sprit. Auch unsere Seele braucht Zeiten, in denen sie auftanken kann.
Gut zu wissen, dass wir einen Gott haben, der sich dem annehmen will. Wer müde und beladen ist, soll zu ihm kommen und erquickt werden, sagt die Bibel in Matthäus 11 Vers 28.

Erscheint einfach, aber wenn ich ehrlich bin, finde ich es oft gar nicht so leicht. Wie komme ich denn am besten zu Gott? Denke ich an ihn, schießt mir erst mal in den Kopf, dass ich heute schon wieder keine Bibel gelesen habe. Mist. Mein Gebet fühlt sich dann irgendwie leer und stockend an. Das war wohl nichts. Wie schaffe ich es denn diesem Gott angemessen zu begegnen?

Zwei Frauen in der Bibel erleben eine ähnliche Situation, zu finden in Lukas 10 Vers 38 bis 42. Sie heißen Maria und Martha. Sie sind Schwestern und leben zusammen. Und eines Tages kehrt Jesus spontan bei ihnen ein. Wie damals üblich macht Martha sich alle Mühe, die Gäste zu bewirten, für ihr Wohl zu sorgen und alles zu ihrem Besten auszurichten – sie wirbelt von einer Aufgabe zur nächsten und schafft ohne Ende. Maria hingegen – in ihrer Position gleichermaßen verantwortlich für Haushalt und Gastfreundschaft – tut nichts dergleichen, sie setzt sich zu Jesu Fußen und hört ihm zu. Mehr nicht. Faul könnte man sagen, es gibt so viel zu tun und sie krümmt nicht einen Finger. Sie ignoriert ihre eigentliche Rolle als Gastgeberin, ist unaufmerksam. Auch Martha ist empört. So sehr, dass sie sich bei Jesus beschwert. Aber Jesus reagiert nicht so, wie man es zuerst erwartet.

Marias Verhalten steht den sozialen und gesellschaftlichen Erwartungen an eine Frau in der damaligen Zeit ziemlich entgegen. Aber Jesus scheint damit kein Problem zu haben. Es ist nicht nur so, dass es ihn nicht stört, er befürwortet es sogar. Maria hat das Beste gemacht, sagt er. Aber warum ist das so? Wie kann es sein, dass Jesus so zufrieden mit ihrer Untätigkeit ist?

Maria scheint eine sehr wichtige Sache bemerkt zu haben. Sie hat erkannt, dass Jesus nicht mit zahllosen Forderungen auf sie wartet, sondern sich einfach nur darüber freut, dass sie da ist. Dass nicht das Tun, das Machen, das Schaffen vonnöten ist, sondern das Sein ausreicht. Sie nimmt sich Zeit, sich hinzusetzen, ruhig zu werden, zu schweigen, zu hören und alles Tun ruhen zu lassen.

Viel zu oft bin ich auch in meinem Glaubensleben eine Martha. Ich habe die Erwartungen, die an mich gestellt werden, im Kopf – sehe, was auf meiner geistlichen To-Do-Liste nicht erledigt wurde und ärgere mich über mein eigenes Versagen. Ich schäme mich vielleicht auch dafür, habe Angst, so vor Gott zu treten und lasse es dann manchmal einfach sein. Dabei braucht es das alles gar nicht.

So sehr zeigt Jesus in dieser Geschichte, dass es ihn nicht interessiert, was ich an diesem Tag alles nicht geschafft habe, dass er nicht erwartet, dass ich es hinbekomme, alle Normen, Erwartungen und Aufgaben zu erfüllen, dass es ihm ausreicht, wenn ich komme und einfach nur da bin.

Einfach nur da sein – in unserer Gesellschaft ziemlich gebrandmarkt als Faulheit – das Nichts-Tun, der Müßiggang. Wenn du Zeit hast, nichts zu machen, dann machst du wohl nicht genug. Es ist ein wichtiges Ziel, ausgelastet zu sein. Aber Gott braucht kein Verstellen, keine Leistungserbringer nach christlichen Maßstäben – wie eine Martha, die sich unglaublich bemüht und abrackert, um Jesus alles Recht zu machen.

Denn seien wir mal ehrlich, schaffen kann man es sowieso nicht. Es gibt in diesem Leben keine christliche Karriereleiter, keine Glaubens-Bonuspunkte und kein Level-System, an dessen Ende man es tatsächlich geschafft hat und sich entspannt zurücklehnen kann. Auch wenn wir oft so denken und unsere Welt an vielen Punkten so funktioniert.

Gott funktioniert anders. Und das finde ich unglaublich befreiend und kraftspendend. Der Ort, den Gott mir bietet, kann niemand ersetzen, weil er so frei von jeglichen Erwartungen ist. Mache ich mir seinen Blick auf mich bewusst, kann ich loslassen, was mich so beschäftigt, umhertreibt und manchmal auch gefangen nimmt, denn ich habe hier zuallererst keine Aufgabe, ich bin einfach nur da – vor ihm.

Und das kann so verschieden aussehen. Vielleicht bedeutet es, dass ich mich ausheule bei Gott und ihm meinen Schmerz ins Gesicht schreie. Vielleicht bedeutet es, dass ich stille werde und Gedanke für Gedanke vor Gott hinlege. Vielleicht höre ich Musik und lasse meine Gedanken treiben und genieße es einfach nur zu wissen, dass dieser Gott gerade hier und jetzt da ist und sich für mich interessiert.

Diese Wege sind so zahlreich und unterschiedlich, wie es Menschen auf dieser Erde gibt. Ich kann egal wo, egal wann einfach einmal innehalten, aus der Rastlosigkeit heraustreten und mir bewusst machen, dass Gott hier und jetzt für mich da ist und überall auf mich wartet, um meiner Seele Ruhe und neue Kraft zu schenken.

von Julia Schwab